Warnruf der Ethikkommission des SBK

10. Dezember 2020

Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin
Sehr geehrte Frau Bundesrätin / Sehr geehrter Herr Bundesrat
Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin / Sehr geehrter Herr Regierungspräsident
Sehr geehrte Frau Regierungsrätin / Sehr geehrter Herr Regierungsrat

Wir stehen mitten in der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie. Die hohen Fallzahlen und die weite Verbreitung von SARS-CoV-2 stellt die Pflegenden im ganzen Land und in allen Institutionen vor nie dagewesene Herausforderungen.
Das Pflegepersonal erbringt – von der Öffentlichkeit fast unbemerkt – an allen Einsatzorten einen ausserordentlichen Einsatz, um die Betroffenen während der ganzen Infektionsdauer, der Isolation oder der Quarantäne gut zu pflegen und ihr Leiden zu lindern. Seit Beginn der Pandemie werden vulnerable Menschen mit Zusatzaufwand geschützt.
Die Situation verschlechtert sich nun aber drastisch.

  • Die Fallzahlen stagnieren auf hohem Niveau, an manchen Orten steigen sie wieder an.
  • Pflegende erkranken selber oder sind in Quarantäne.
  • Das hat zur Folge, dass Kolleginnen und Kollegen Zusatzeinsätze leisten müssen, dies auf Kosten ihrer Frei- und Ruhezeit. Die zusätzlichen Arbeitsschichten sind nötig, aber physisch und psychisch äusserst belastend.
  • Berichte aus der Pflegepraxis zeigen, dass Erschöpfungssymptome zunehmen. Die Konzentration bei der Arbeit nimmt ab.
  • Die Lösung der Situation kann und darf nicht darin bestehen, dass Erkrankte arbeiten müssen oder die Quarantänedauer gesenkt wird.

Wir befürchten, dass ohne einschneidende zusätzliche Massnahmen seitens Bund und Kantonen zur massiven Reduktion der Fallzahlen die zu hohe Belastung im Ge-sundheitswesen noch bis Ende des Winters andauern wird.

Diese Perspektive ist für die Pflegenden nicht tragbar. Viele sind schon jetzt am Ende ihrer Kräfte angelangt. Viele schränken zudem in einer Art Selbstisolation ihre sozialen Kontakte seit Beginn der Pandemie über die allgemeinen Empfehlungen hinaus ein, um Personen in ihrem sozialen Umfeld oder um Bewohnerinnen, Patientinnen und Klientinnen noch besser zu schützen.

Hier ein Einblick in die spezifischen Realitäten der verschiedenen Versorgungsbereiche:

Langzeitpflege
Insbesondere in Pflegeheimen und Heimen für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen leiden Bewohner-innen unter Bewegungs- und Besuchseinschränkungen. Pflegende stellen seit Monaten unter zusätzlichem Aufwand den Kontakt zu Angehörigen her, ersetzen diese so gut wie möglich und fangen die durch die Einsamkeit verursachten psychischen Probleme auf. Die essenzielle Rolle der Pflege im ambulanten und im stationären Setting wurde vor der Pandemie nur ungenügend anerkannt. Das hatte zur Folge, dass in manchen Kantonen in der ersten Welle der Pandemie der Zugang zu den kantonalen Reserven an Schutzmaterial ungenügend war. Damit konnte sowohl der Schutz der Bewohner-innen und Klientinnen als auch des Pflegepersonals nicht immer sichergestellt werden. In der zweiten Welle fehlt es nun vor allem an Pflegepersonal. Bei einem bereits bestehenden Fachkräftemangel war dies zu erwarten. Das Problem wurde zwar vom nationalen Parlament erkannt, Lösungen stehen jedoch aus (siehe Parlamentsbeschluss vom 1.12., dass Armeeangehörige nicht in Langzeitinstitutionen eingesetzt werden). Die Vorbereitungen auf eine zweite Welle waren bezüglich Personalressourcen insgesamt ungenügend, lokale und regionale Personalpools wurden nicht systematisch geschaffen.

Psychiatriepflege
Covid-19 und insbesondere die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie führen bei vielen Patientinnen mit vorbestehenden psychischen Erkrankungen oder in psychosozial instabilen Situationen zum Auftreten oder zur Zuspitzung von Krisensituationen (z.B. Angstzustände). Das kann so weit gehen, dass zwingend nötige pflegerische Massnahmen abgelehnt werden, zum Beispiel indem Pflegefachpersonen nicht in die Wohnung gelassen werden. Diese Krisen müssen vom Pflegepersonal psychiatrischer Institutionen zusätzlich aufgefangen werden. Gleichzeitig ist der Pflegeaufwand aufgrund der höheren Anzahl Patientinnen und den Schutzmassnahmen stark erhöht.

Palliative Care
Für Pflegefachpersonen in der Palliative Care liegen spezifische Belastungen u.a. darin, dass zeitweise die üblichen Medikamente zur Symptomlinderung nicht mehr erhältlich waren, da sie bei Engpässen prioritär für Patientinnen in den Intensivstationen und Akutspitälern gebraucht wurden. Bei hohem Arbeitsanfall haben die Pflegenden zu wenig Zeit für eine gute psychosoziale Begleitung der ihnen anvertrauten und oft sterbenden Menschen.


Pflege im Akutspital
Pflegende in den Akutspitälern sind Tag für Tag einer extrem hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt und das mit zu wenig Pflegefachpersonal – dies gilt insbesondere für Intensivstationen, Notfallstationen sowie Bettenstationen der inneren Medizin und der Infektiologie. Zudem arbeiten Pflegende in den Akutspitälern oft unter unsicherem Eigenschutz, da bei Eintritt Covid-19-Infektionen mit untypischen Symptomen nicht genügend schnell erkannt werden.
Wir befürchten, dass das Pflegepersonal den aktuellen Zustand nicht über weitere Wochen oder Monate durchhalten kann. Die bisher erlassenen Massnahmen senken die Fallzahlen zu wenig stark und dem Gesundheitswesen droht in den nächsten Wochen eine Überforderung und Überlastung. Die Folge ist, dass die Menschen in der Schweiz nicht mehr die pflegerische Versorgung erhalten, die sie bräuchten. Die Konsequenz sind menschliches Leid, Komplikationen und hohe Todesfallzahlen.
Wir rufen Sie deshalb im Interesse der Bevölkerung und der Pflegenden dazu auf, sofort zu handeln. Es braucht national einheitliche, einfache und klare Massnahmen damit die Neuansteckungen so schnell wie möglich auf ein für das Gesundheitswesen gut bewältigbares Mass gesenkt werden.

Konkret erwarten wir:

  • Bei notwendigen persönlichen Treffen sämtliche Hygieneregeln (inkl. Abstand UND Maske) immer zu befolgen.
  • Die klare Aufforderung an die Bevölkerung, Kontakte mit Menschen, die nicht zum eigenen Haushalt gehören, per Telefon oder Videokonferenz zu pflegen.
  • Die Gesundheitsinstitutionen aufzufordern, ihre Personalressourcen lokal, regional und überregional zu koordinieren.
  • Zusätzliches Pflegepersonal und Unterstützung durch geeignete Personen von Zivildienst und Zivilschutz und wenn nötig vom Militär für überlastete Institutionen flächen-deckend anzubieten.
  • Den Spitälern die Sicherheit zu geben, dass Vorhalteleistungen und Absagen oder Verschiebungen von Operationen kein ökonomisches Risiko darstellen.

Danke, dass Sie unsere Anliegen ernst nehmen und im Interesse der Bevölkerung alles daransetzen, die Belastung im Gesundheitswesen durch die COVID-19 Pandemie auf ein bewältigbares Mass zu reduzieren.

Freundliche Grüsse

Sophie Ley                               Bianca Schaffert
Präsidentin SBK                       Präsidentin Ethikkommission SBK
 

Briefansicht

zum Anfang der Seite